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Lo Man Kam erzählt

16. Juni 2024 durch
Debus und Dr. Kuhnecke GbR, Admin

(übertragen aus dem Englischen von Marc Debus)

Yip Man´s richtiger Name war Ki Man. Er stammte aus Foshan in der Provinz Kanton und war das zweite Kind der Familie, die in der Fook Yin Road in den Mulberry Gardens wohnte. Die Familie war in dieser Gegend sehr bekannt. Neben dem Familiensitz befand sich ein bekanntes Teehaus namens Tou Yun Gue. Daneben wiederum eine bekannte Bäckerei namens Gow Hing Long. Die Häuser in Mulberry Gardens waren sehr groß und die Gegend war in ganz Fo Shan bekannt

Ich wurde in Hong Kong geboren und wuchs dort auf. Meine Mutter war Yip Mans Schwester. Während des zweiten Weltkrieges ging ich wegen der Besetzung durch die Japaner von Hong Kong nach Foshan. Ich lebte dort im Haus meines Onkels in den Mulberry Gardens. In dieser Zeit traf ich meinen Onkel täglich und lernte bei ihm. Meine Mutter erzählte mir eine Menge Geschichten über das kämpferische Können meines Onkels. Für mich, in meinem jugendlichen Alter, war dies sehr inspirierend dies, insbesondere wegen der schwierigen Zeiten in denen wir lebten. Mein Onkel wurde schon mit sieben Jahren Schüler von Meister Chan Wah Shun. Meister Chan war zu dieser Zeit bereits sehr alt und unterrichtete seine Schüler nur selten selbst. Yip Man war der letzte Schüler, den er in seiner Schule annahm. Seit der Zeit in der Meister Chan Yip Man als seinen „Cloosed door“ Schüler angenommen hatte, entwickelte dieser eine Vorliebe für ihn („Cloosed door student“ meint, dass Yip Man der letzte Schüler war, den Chan Wah Shun in seiner Schule aufnahm, bevor die Tür geschlossen wurde). Die älteren Mitschüler Yip Mans, Ng Choun Su, Lar Ru Chi und Chan Ru Man kümmerten sich ebenfalls um ihn.

Die Gebühren für den Unterricht in Meister Chans Schule waren sehr hoch. Jeder Schüler hatte mehrere Unzen Silber zu zahlen. Der normale Bürger war zu dieser Zeit nicht in der Lage einen solchen Betrag aufzubringen. So ist es nicht verwunderlich, dass die Anzahl der Schüler Chan Wah Shuns in Zehnern gezählt werden kann. Dieser Tatsache ist es ebenfalls zu verdanken, dass man Wing Chun als Kung Fu des reichen Mannes kennt.

Sechs Jahre später war Meister Chan dem Tode nahe. Er beauftragte Ng Choun Su, die jüngeren Mitschüler weiter zu unterrichten, bevor er starb. Yip Man folgte seinem älteren Kung Fu Bruder die nächsten drei Jahre. Im Alter von sechzehn Jahren ging Yip Man dann nach Hong Kong, um am St. Stevens College Englisch zu studieren. Ein Klassenkamerad stellte ihn dem zweiten Sohn von Leung Jan vor, Leung Bik. Die zwei trainierten drei Jahre zusammen und perfektionierten ihre Fähigkeiten in der Kunst des Wing Chun Kung Fus.

Yip Man verstand sich sehr gut mit seinem Mitschülern Yun Ke Shan, der ebenfalls Schüler von Ng Choun Su war. Yip und Yun waren im selben Alter und verbrachten viel Zeit miteinander. Zu dieser Zeit traf Yun im Hause von Yip Man dessen Sohn Yip Chun. Yun war beeindruckt von dem Jungen und zeigte ihm die erste Form des Wing Chun, die Siu Lim Tao.

Während den frühen Jahren der chinesischen Republik gab es in Foshan ein jährlich stattfindendes Fest mit dem Namen „Herbstszenen“. In einem Jahr ging Yip Man mit seiner Frau zu diesem Festival. Während sie dort waren, sprach ein Offizier Mrs. Yip an und begann ihr den Hof zu machen. Yip Man trug eine traditionelle chinesische Robe und Stoffschuhe. Seine Statur war eher zierlich und er sah eher aus wie ein Gentleman und nicht wie ein Kämpfer. Der Offizier hielt ihn für ängstlich und hilflos und wurde frecher und unverschämter. Mein Onkel benutzte eine der im Wing Chun gebräuchlichen Techniken, bei denen Angriff und Verteidigung zusammen ausgeführt werden, und der Offizier ging zu Boden. Daraufhin zog der Offizier seinen Revolver, doch bevor er schießen konnte, griff Yip Man den Lauf und benutzte die Kraft seines Daumens um den Abzug abzubrechen, was den Revolver unbrauchbar machte.

Als die Japaner Foshan besetzten, erfuhr die Militärpolizei von Yip Mans Können und bat ihn ihr Ausbilder zu werden. Er verweigerte dieses Anliegen aus prinzipiellen Gründen. Dies ärgerte die Japaner so sehr, dass sie einen anderen Kung Fu Meister mit dem Nachnamen Leung beauftragten, Yip Man zu einem Kampf herauszufordern. Erst nach wiederholten Aufforderungen von Leung nahm Yip Man diese Herausforderung an.

Meister Leung hielt seinen Fauststoß für sehr kraftvoll und attackierte Yip Man damit. Yip Man gebrauchte den „Horse Stance“ und einen Quan Sao um sich zu verteidigen, daraufhin machte er einen Schritt um Meister Leung herum und trat ihn zu Boden.

Nach diesem Vorfall verließ Yip Man Foshan, da die Japaner ihn immer weiter unter Druck zu setzen versuchten. Er half der chinesischen Regierung so gut er konnte, bei ihrem Widerstand gegen die japanischen Besatzer. Nach der Widerstandszeit unterrichtete Yip Man kein Wing Chun, sondern arbeitete für die Polizei. Um die Gegend von kriminellen Elementen zu reinigen und um die Bevölkerung zu schützen, deckte er viele Verbrechen auf, darunter den Foshan Sar Ton Fon Straßenüberfall. Er fasste den Räuber im Sing Ping Theater. Yip Man wurde später Befehlshaber der Militärpatrouille in Süd-Kanton bis zum Zusammenbruch der nationalistischen Regierung Chinas. Nach dem Regierungszusammenbruch verließ Yip Man Foshan und ging zurück nach Hong Kong. Hier wurde er Mr. Lee Min vorgestellt, der Yip später half eine Wing Chun Schule in der Restaurant Union in der Da Nan Street in Kowloon zu eröffnen. Zu Beginn waren  Lee Min, Leung Sheung, Lok Yiu und ich selbst Schüler dieser Klasse. Es waren nie mehr als zehn Trainierende anwesend. Mr. Lee war nicht nur Schüler, sondern auch ein guter Freund meines Onkels. Später kamen Tsu Sheung Tin und Yip Bo Ching dazu.

Die Zahl der Schüler stieg stetig an, bis Yip Man im Jahre 1954 die Restaurant Union verließ, um eine größere Schule in der Hia Ten Street, Deep Water Bay, Kowloon zu eröffnen. Die anderen Schüler und ich folgten ihm dorthin und trainierten weiter. In dieser Zeit fuhr Onkel Yip Man auch zwei- bis dreimal in der Woche zu einer Vereinigung in der Hollywood Street und zum Tai Wong Tempel in der Queen´s Road, East Wanchai um andere Schüler zu unterrichten.

Da die Zahl der Schüler immer weiter stieg verlegte Onkel Yip die Schule aus der Hia Ten Street in die Lee Da Street, danach in die Lee Jenwou Village und zuletzt in das Hing Ping Building. Onkel Yip Man machte für seine Schule nie öffentlich Werbung. Man musste ihm persönlich vorgestellt werden oder einen seiner Schüler kennen. Bruce Lee wurde meinem Onkel von Cheung Jwo Hing (William Cheung) vorgestellt, als die Schule in der Lee Da Street lag.

Yip Mans Unterricht richtete sich immer nach dem Wissen, den persönlichen Voraussetzungen und Interessen des jeweiligen Schülers. Diese innovative Methode, den Unterricht auf alle persönlich abzustimmen, diente dazu, jeden Schüler, abhängig von seinen Trainingsgewohnheiten und seinen physischen Fähigkeiten, im Unterricht bestmöglich vorankommen zu lassen.

Die Strenge Yip Mans im Unterricht, war trotz seines mittlerweile hohen Alters, der eines jungen Mannes ebenbürtig. Neun Jahre vorher kam es in Hong Kong wegen der großen Anzahl von Banden ständig zu Überfällen. Eines Nachts, während Yip Man einen Spaziergang machte, versuchten zwei mit Messern bewaffnete Räuber ihn zu überfallen. Einige Kicks von Yip genügten allerdings, um die Räuber in die Flucht zu schlagen.

Mein Onkel Yip riet mir im Jahr 1956 nach Taiwan zu gehen, um dort eine eigene Wing Chun Familie zu etablieren. Zudem erhielt ich Unterstützung für diese Idee vom dortigen Präsidenten Chiang Kai-Shek. Ich repräsentierte in Taiwan das junge Volk Hong Kongs.

Aber ich begann meine Heimat Hong Kong zu vermissen und versuchte dorthin zurückzukehren. Mein Onkel Yip Man schalt mich für meine Rückkehr, weil er der Meinung war, die Chance in Taiwan sei zu groß, um sie einfach vorbeiziehen zu lassen. So kehrte ich 1960 nach Taiwan zurück und machte es zu meiner neuen Heimat. Um mein Land zu schützen erlernte ich die Kunst des Krieges an der Militärschule und wurde Field Commander in der Armee

Ich bin der einzige lizenzierte Wing Chun Sifu in Taiwan und hatte sogar den Enkel des Präsidenten Chang Kai-Shek als Schüler. Wenn ich darüber nachdenke wird mir klar, dass mein Onkel Yip Man mich zurückschickte, um diesem Land zu dienen und das Wing Chun Kung Fu dort zu fördern. Ich denke ich konnte seinen Wunsch erfüllen. Mittlerweile unterrichte ich Schüler aus Frankreich, Amerika, England, Süd Afrika, Australien, Ost Afrika und Deutschland, die nach Taiwan kommen um bei mir Wing Chun Kung Fu zu erlernen.

Während der asiatischen Meisterschaften und der Weltmeisterschaften im Kung Fu erlangten die Mitglieder des von mir trainierten Wing Chun Sport Teams die höchsten Auszeichnungen, was dem Wing Chun Stil zu noch mehr Bekanntheit in der Welt verhalf. Wegen der Verpflichtungen gegenüber dem Staat Taiwan war es mir leider nicht möglich an der Beerdigung meines Onkels Yip Man teilzunehmen, was ich immer noch sehr bedaure.

Was die Menschen außerhalb unserer Region nicht wissen, ist die Tatsache, dass nur direkte Schüler meines Onkels Yip Man, so wie ich selbst einer war, berechtigt waren bei der Beerdigung ein schwarzes Trauerband um die Hüfte zu tragen. Indirekte Schüler, wie z.B. Leung Ting, waren berechtigt schwarze Bänder um ihre Arme zu tragen.

Nach dem Tod meines Onkels Yip Man, ist zwischen den Wing Chun Betreibenden ein großer Streit um seine Nachfolge entbrannt. Ich habe großen Respekt vor der traditionellen chinesischen Ethik und habe im Gedenken an meinen Onkel alle Konflikte und Auseinandersetzungen mit Personen vermieden, die sich als neue Führer des Wing Chun Stils bezeichneten. Mein Onkel dachte, dass Wing Chun keine Kunst ist die verkauft werden sollte. Der Schüler sollte in einigen Unterrichtsstunden seine eigene Entscheidung treffen können und sich den Vertreter heraussuchen, der das System in der für ihn geeignetsten Form unterrichtet. Kai Sai war der erste Schüler, der von mir eine Lehrerlizenz erhielt. Ich habe ihm erlaubt, als er Taiwan verließ, das Wing Chun System weiterzugeben, das ich von meinem Onkel Yip Man erlernt hatte. Studenten aus der ganzen Welt sind jederzeit in meiner Schule in Taipeh willkommen. Sie können mich jederzeit unter meiner Adresse kontaktieren.